Der Wochenrückblick mit Hans Heckel, Preussische Allgemeine
Das ist ja gerade noch mal gutgegangen. Für Messerattacken wie jene auf den Rabbiner in Frankfurter haben die Empörungsbeauftragten von Bund und Ländern, Parteien und Verbänden im Grunde ein festes Reaktions-Schema im Ärmel. Im Fall Mügeln hatten sie es gerade erst wieder erprobt: Beschämung, Empörung und die öffentliche Bestrafung all der Leute, die es wagen, von „Einzelfall“ zu sprechen oder vom Ausdruck eines „allgemeinen Gewaltproblems“.
Kurz bevor die Berufenen nach dem Frankfurter Überfall zu ihren Mikrophonen gelangten, stellte sich jedoch heraus, daß der hinterhältige Überfall gar nicht ins Schema paßt. Fangen wir mit den Nebensächlichkeiten an: Im Unterschied zu Mügeln ist völlig klar, wer den Streit begonnen hat. Der Rabbi war seelenruhig auf dem Weg in die Synagoge, als er plötzlich niedergestochen wurde. Selbstverständlich hatte – im Gegensatz zu den Opfern in dem sächsischen Städtchen – der Geistliche auch nicht mit einer abgeschlagenen Flasche um sich gestochen, bevor ihn die Klinge traf.
Aber das ist, wie gesagt, nicht wichtig. Entscheidend ist vielmehr: Der Täter von Frankfurt ist offenkundig der falsche, nicht deutsch genug. Das haben alle auf Anhieb begriffen. Nur ausgerechnet Charlotte Knobloch nicht: Der Vorsitzenden des Zentralrats ist es unbegreiflicherweise völlig egal, ob ein Deutscher oder ein „südländisch“ aussehender Gewalttäter antijüdische Parolen brüllend auf einen Rabbiner losgeht.
Sie verhält sich damit ziemlich unprofessionell, und ihre Bemerkung über die „No-go-Areas“ im Westen hätte fast eine unverantwortliche Debatte ausgelöst. In allen möglichen Internetforen, die nicht rechtzeitig abgeschaltet werden konnten, fiel den Deutschen gleich eine ganze Palette solcher „unbegehbarer“ Zonen in unseren Großstädten ein. Die Diskussion geriet vorübergehend fast außer Kontrolle.
Doch die Besonnenen brachten schnell wieder Ordnung in die Sache, indem sie Knoblochs Ausrutscher einfach übergingen. Ihr Stellvertreter Salomon Korn, der auch Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt ist, beeilte sich, den Vorfall als „Einzeltat“ abzuheften, als „Ausnahmefall, der sich hoffentlich nicht wiederholt“. Er hoffe auf Rückkehr von „Normalität und Unbeschwertheit“. Das jüdische Opfer sei ohnehin „glimpflich davongekommen“.
Donnerwetter, der hat’s drauf: Vor nicht allzu langer Zeit war moralisch erledigt, wer zum Leben der deutschen Juden heute Wörter wie „Normalität“ oder gar „Unbeschwertheit“ in dem Mund nahm. Ausgerechnet nach der Messerstecherei geht das plötzlich. Und: Der Mügelner Bürgermeister Deuse wird sich von dem Makel nie wieder befreien können, den er sich eingefangen hat, als er hinsichtlich der heimatlichen Schlägerei von einem „Einzelfall“ sprach. Und wäre dem so was wie „glimpflich“ über die Lippen gehuscht … du liebe Zeit, dem hätten wir eingeheizt!
Erstaunlich, wie exakt die Dinge auseinandergehalten werden, je nach ethnischer Zugehörigkeit der Verdächtigen. Man kann es nur bewundern: Die deutsche Empörungsmaschine funktioniert so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk und ist dabei belastbar wie Kruppstahl. Wie von Geisterhand bedient rast der Apparat in einem Moment noch auf höchster Drehzahl, um schon eine Sekunde später völlig stillzustehen. Kein herkömmliches Getriebe hielte dem stand.
Dabei wird die Maschine von Hunderten, ja Tausenden von Leuten bedient, dennoch alle wissen gleichzeitig, wann sie „Ein“ oder „Aus“ drücken müssen. Mutmaßliche Täter deutsch: „Ein“, mutmaßliche Täter irgend etwas anderes: „Aus“. Nur Charlotte Knobloch hat das noch nicht richtig begriffen. Aber die lernt das hoffentlich mit der Zeit. Ansonsten wußten alle von Angela Merkel bis Claudia Roth, daß Frankfurt im Unterschied zu Mügeln weder ihre „Beschämung“ noch ihre „Empörung“ wert war.
Nur notorische Konsensverletzer fragen hinterhältig nach: Wenn weder Frau Merkel noch Frau Roth wegen des Messerstechers beschämt oder empört sind, nur weil er vermutlich „Migrant“ ist, was sagt das über ihr Verhältnis zu unseren Migranten insgesamt aus? Will Merkel nicht die „Kanzlerin aller Menschen in unserem Land“ sein? Warum schämt sie sich dann zwar für mutmaßliche deutsche Täter, nicht aber für solche mit anderer Herkunft? Und gehören laut Claudia Roth nicht alle hier lebenden Völker zu „unserer Gesellschaft“? Warum wählt sie dann so messerscharf aus, über wessen Untaten sie sich empört und über wessen Frevel nicht? Wir könnten jetzt gemein sein und die Rassismusdebatte einmal ganz anders führen. Tun wir aber nicht, schließlich haben wir den Apparat gerade auf „Aus“ geschaltet. Deshalb hat es selbstverständlich auch keine Antifa-Demos durch Frankfurter „No-go“-Migrantenviertel gegeben.
Was die Erklärungsmuster für den islamistischen Terror angeht, haben wir uns eine wunderbare Leichtigkeit zugelegt. Letztlich geht es ja darum, die Schuld des Abendlandes nachzuweisen, welches die Attentäter geradezu zum Bombenlegen zwingt. Ziel muß es sein, der gefährlichen Mär Einhalt zu gebieten, die Morderei habe im Kern irgend etwas mit dem Islam zu tun.
Ursprünglich hatten wir da die „Schere zwischen Arm und Reich“ zur Hand: Die orientalischen Länder werden seit ich weiß nicht wann von uns ausgebeutet, weshalb sich die dortigen Völker aus der Armut gegen uns erheben und uns die tödliche Quittung servieren.
Leider kam dann heraus, daß Osama bin Laden, Mohammed Atta und ihre Freunde besser betucht und gebildet waren als die meisten ihrer Opfer. Dumme Sache. Aber macht nichts: Da blieb ja noch die „jahrhundertelange Demütigung der orientalischen Völker durch die westlichen Kolonialmächte“, unter die auch Deutschland zu zählen ist, obschon es in der Region nie einen Quadratmeter besessen hat. Diese Demütigung quält die Nachfahren der einst Unterdrückten bis heute, wofür die sich nun rächen wollen, ob sie arm sind oder reich.
Klingt doch schlüssig, oder? Ja, fast, bis nun verhinderte Attentäter namens Fritz G. und Daniel S. verhaftet wurden, deren Vorfahren nicht orientalischer sind als die eines märkischen Milchbauern. Also ist es doch ein religiöser Antrieb, der zum Quell der Mordlust gereift ist? So eine Erklärung geht nicht, die wäre nämlich diskriminierend.
Also bleibt uns nichts anderes übrig, als abrupt das Thema zu wechseln. Was soll’s auch, längst haben wir uns daran gewöhnt, unsere als hohl entlarvten Erklärungsmuster wegzuschmeißen wie leergefressene Chipstüten. Stört niemanden mehr.
Und wenn gerade keine neue Tüte zur Hand ist, dann kann man ja auch einfach mal gar nichts sagen – wie zu Frankfurt. Ganz unproblematisch ist das allerdings nicht: Die moderne Medienwelt kennt keine Sendepausen mehr wie einst im Mai, es muß immer weitergelabert werden. Besonders, wenn es gilt, die merkwürdige Ruhe zu überdröhnen, die von der stillstehenden Empörungsmaschine ausgeht. Da kam Eva Herman gerade recht.
Für die Maschine ist die Frau und das, was sie von sich gab, zu dürftig. So eine Angelegenheit erledigen wir im Vorbeigehen. Die Instrumente lagen ohnehin lange bereit. In den goldenen 80ern reichte bereits der bloße Hinweis auf Geburtenrückgang und die leiseste Anmahnung von sogenannter „Bevölkerungspolitik“, um ans Mutterkreuz genagelt zu werden. So leicht geht das leider nicht mehr, seitdem jemand den Zusammenhang von demographischer Entwicklung und unseren Renten ans Volk verpetzt hat. Die Herman mit ihrem Familienkram war deshalb nur schwer diffamierbar. Da war es nett, daß sie uns den Nazidolch selbst geliefert hat und nebenbei noch die Frankfurter Stille füllen half mit ihrem heiteren kleinen Ersatz-Aufreger.
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