Nach der Gewalt in Mügeln steht der Ort am Pranger. Bürgermeister Gotthard
Deuse kämpft für seine Stadt
Moritz Schwarz
Herr Deuse, von einer „Hetzjagd auf acht Inder in Mügeln, die schließlich verprügelt wurden“ sprechen seit Tagen die meisten Medien und Politiker. Sie aber sagen: „So war das gar nicht.“
Deuse: Tatsächlich stand die Prügelei, bei der die Inder – und vier Deutsche – verletzt wurden, nicht am Ende, sondern am Anfang der Geschehnisse. Daraus erst ergab sich dann offenbar die Flucht in die Pizzeria Picobello. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich verurteile jede Form der Gewalt auf das schärfste! Aber es ist schon ein Unterschied, ob die Inder unschuldig und aus fremdenfeindlichen Motiven überfallen, gejagt und dann verprügelt wurden, wie das jetzt von den meisten Medien dargestellt wird. Oder ob sich in einem Festzelt eine an sich unpolitische Prügelei entsponnen hat – an deren Entstehen die Inder überdies möglicherweise einen Anteil hatten. Und die dann in einer Flucht mündete, in deren Verlauf aus Wut dumme und unsägliche Parolen gerufen wurden – wobei noch nicht einmal geklärt ist, ob das wirklich die Tatbeteiligten waren oder irgendwelche trittbrettfahrenden Zaungäste. Ich sage nicht, daß es so war, ich sage nur, keiner weiß, ob es vielleicht nicht so war, und deshalb hat auch keiner das Recht, in dem Fall vorschnell politisch zu urteilen.
Was vermuten Sie? Wie hat es sich zugetragen?
Deuse: Das versucht die Polizei jetzt herauszufinden. Ich kann und will den Ermittlungsergebnissen nicht vorgreifen.
Es ist allerdings auf jeden Fall äußerst bedenklich, wenn eine Gruppe in gewalttätiger Absicht einer kleineren Gruppe nachsetzt und dabei aggressive politische Parolen gerufen werden.
Deuse: Kein Zweifel, und deshalb haben wir auch jede Art von Gewalt entschieden verurteilt!
Die Grünen im Land haben Sie für Ihre Aussagen scharf angegriffen und mitgeteilt, es sei für die Wertung des Vorfalls als „rassistisch“ nicht von Belang, wer die Prügelei begonnen habe.
Deuse: So eine rechtsstaatlich mangelhafte Unreflektiertheit ist doch ein Skandal! Aufgrund einer solchen Haltung wird Mügeln nun zu Unrecht – nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt – als rechtsextremes Städtchen dargestellt.
Und das ist es nicht?
Deuse: Ganz klar: Nein!
Wieso spricht dann der ehemalige Regierungssprecher und Vorsitzende des Vereins „Gesicht zeigen!“, Uwe-Karsten Heye, mit Blick auf Mügeln von Meidezonen für Ausländer, sogenannten „no-go areas“, in den neuen Bundesländern?
Deuse: Ich weiß nicht, ob es solche Zonen überhaupt gibt, mir zumindest sind keine bekannt. Und Mügeln ist ganz bestimmt keine. Der indische Pizzeriabesitzer ist seit Jahren ein integrierter Bürger unseres Städtchens. Die übrigen betroffenen Inder kommen zwar nicht direkt aus Mügeln, sind aber schon seit zwölf Jahren zweimal wöchentlich auf unserem Wochenmarkt. Und seit zwölf Jahren feiern wir schon unser Altstadtfest – es gab da noch nie Reibereien. Außerdem: Am Tag nach dem Vorfall ging das Fest weiter, mit dabei waren acht Vietnamesen und es gab nicht den geringsten Ärger! Wer behauptet, in Mügeln seien Ausländer potentiell ihres Lebens nicht sicher, war noch nie hier oder ist entschieden böswillig. Natürlich gibt es in Mügeln auch Leute mit rechter Gesinnung, aber die gibt es überall, und von einer rechten Szene kann man nicht sprechen. Das bestätigt auch die Polizei. Zwar gab es in unserem Landkreis in der Vergangenheit auch rechtsextreme Straftaten, aber noch nie in Mügeln.
Sachsens grüne Fraktionschefin Antje Hermenau meint, mit Ihren Äußerungen machten Sie den „Rassismus salonfähig“.
Deuse: Das ist wieder so eine giftige Parole, die nur beweist, daß Frau Hermenau von Dingen redet, über die sie nicht informiert ist. Ich lade sie herzlich ein, sich Mügeln mal anzuschauen, damit sie auch weiß, wovon sie spricht.
Laut „Financial Times Deutschland“ haben Sie die erschollenen „Ausländer raus!“-Rufe mit den Worten kommentiert: „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen.“
Deuse: Und ich habe ausdrücklich angefügt, daß ich das nicht gutheiße! Der FTD-Journalist, dem ich das gesagt habe, mußte auf Nachforschung der Bundesgeschäftsstelle meiner Partei zugeben, daß er diesen Nachsatz unterschlagen hat!
Haben Sie eine Gegendarstellung verlangt?
Deuse: Wir sind noch dabei, das zu prüfen.
Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo wiederum wirft Ihnen vor, daß Sie Rechtsextremismus als Ursache für den Vorfall ausgeschlossen haben.
Deuse: Ja, ich sage klipp und klar: Rechtsextremismus schließe ich aus. Denn es besteht ein Unterschied zwischen ausländerfeindlichen Parolen von Betroffenen und Rechtsextremismus.
Inwiefern?
Deuse: Rechtsextremismus ist eine politische Haltung, die von einschlägigen Aktivisten getragen wird und auf den Sturz unserer Verfassung zielt. Aber auch wenn der Innenminister mich kritisiert, so sind wir doch dankbar für das Zeichen, daß unser Landesvater Georg Milbradt mit seinem Besuch bei uns gesetzt hat.
Hat er durch seinen demonstrativen Auftritt unmittelbar nach den Vorfällen nicht mit dazu beigetragen, die Stadt an den Pranger zu stellen?
Deuse: Der Ministerpräsident hat nach seinem Besuch deutlich gesagt, daß er zwar einen rechtsextremen Zusammenhang nicht ausschließen kann, aber daß es eben auch ganz anders gewesen sein könnte.
Seine Visite wurde aber keineswegs damit begründet, den Mügelnern beizustehen, sondern um ein Zeichen zu setzen gegen die „Jagd auf Menschen“, wie es in den Medien hieß.
Deuse: Das hätte er auch per Presseerklärung tun können. Nein, Georg Milbradt hat damit vielmehr gezeigt, daß er sich als Ministerpräsident aller Sachsen versteht.
Auch Angela Merkel hat sich eingeschaltet.
Deuse: Es ist natürlich klar, daß die Bundeskanzlerin nicht extra nach Mügeln reisen kann.
Auch ihre Äußerung enthielt keine Beistandsadresse für die Mügelner, sondern eine Verurteilung der skandalisierten Geschehnisse.
Deuse: Das mag sein, sie steht eben auch unter Druck.
Inwiefern?
Deuse: Kein Kommentar.
Sind Sie enttäuscht von ihr?
Deuse: Von wem ich enttäuscht bin, ist Minister Wolfgang Tiefensee. Statt seiner populistischen Aussagen hätte ich von ihm, der schließlich auch Sachse ist und Oberbürgermeister von Leipzig war, erwartet, daß er sich zwei Minuten Zeit nimmt und fragt: „Nu‘ erzähl doch mal, wie war das denn, nach allem, was du weißt?“ Aber: Nichts.
Warum interessiert ihn das Ihrer Meinung nach nicht? Warum wird Mügeln nach Ihrer Ansicht von den Medien so falsch dargestellt?
Deuse: Meine Vermutung ist, das Sommerloch ist jedes Jahr ein großes Problem, und da stürzt man sich dankbar auf alles, was sich bietet.
Seit Tagen sind Sie mit nichts anderem beschäftigt, als Journalisten diese Gesichtspunkte darzulegen. Warum ändert sich dennoch nichts an der Darstellung des Falles in den meisten Medien?
Deuse: Ich habe den Eindruck, viele Journalisten wollen das gar nicht hören. Nachdem sie die Geschichte von der rechtsextremen Hetzjagd so schnell rausposaunten, haben sie jetzt natürlich das Problem, daß sie als die Blamierten dastünden, wenn sie jetzt alles zurücknehmen müßten.
Das heißt, Sie sehen Mügeln als eine Art neues Sebnitz?
Deuse: Was Sebnitz ausmachte, war die Vorverurteilung einer Stadt durch Medien und Politik: Urteilen, ohne die Fakten zu kennen! Diese Definition paßt auch auf Mügeln, insofern sehe ich Mügeln in der Tat als neues Sebnitz. Es enttäuscht mich, daß die Medien aus Sebnitz und auch aus dem Fall Potsdam vom April 2006 offenbar nichts gelernt haben. Damit schaden unsere Medien Deutschland erheblich: Denn entgegen der Wahrheit klagen wir uns selbst vor aller Welt als Hort des Rechtsextremismus an. Und im übrigen fürchte ich, daß all dies dazu beiträgt, daß der Fall vielleicht niemals vollständig aufgeklärt wird.
Warum?
Deuse: Weil manche Zeugen aus Angst, beschimpft zu werden, sich gar nicht mehr äußern könnten. Leider ist die Schwelle des Anstands in Deutschland extrem gesunken. Es geht inzwischen oft nicht mehr darum, was passiert ist, sondern nur noch darum, zu verurteilen.
Gerade die „Kampf gegen Rechts“-Atmosphäre könnte also die Aufklärung verhindern?
Deuse: Wenn sich die Bürger nur darauf verlassen könnten, daß ihnen unvoreingenommen begegnet wird! Aber man muß ja jederzeit damit rechnen, daß alles, was man sagt, von gewissen Leuten nur dazu benutzt wird, um deren Vorurteile zu bestätigen.
Fühlen sich die Mügelner persönlich verletzt?
Deuse: Ich denke schon. Wir haben etwa jede Menge Haßpost bekommen, allein 194 E-Mails. Darin werde ich zum Beispiel als Nazi-Schwein beschimpft. Wirklich reichlich unter der Gürtellinie!
Von wem kommen diese Zuschriften?
Deuse: Leider sind vor allem Absender aus den alten Bundesländern darunter. Aber ich bin mir sicher, nicht alle Westdeutschen denken so. Ich habe auch einen Anruf eines älteren Mannes irgendwo aus Bayern bekommen, der mir Mut gemacht hat. Was mich übrigens besonders erschüttert hat, waren die wütenden Zuschriften, die wir bekommen haben, nachdem ich es gewagt hatte, öffentlich darauf hinzuweisen, daß es außer den acht verletzten Indern auch vier verletzte Deutsche gibt. Tenor: „Was gehen uns angesichts der indischen die deutschen Opfer an?“
Sie sehen eine Diskriminierung der deutschen Opfer?
Deuse: Nein, jedes Opfer, gleich welcher Nationalität, ist ein Opfer zuviel.
Sie haben einen der verletzten Inder im Krankenhaus besucht.
Deuse: Und ihm einen Blumenstrauß gebracht.
Haben Sie auch die deutschen Opfer besucht?
Deuse: Die waren da schon wieder entlassen. Sonst hätte ich das selbstverständlich auch getan. Aber ich verstehe, was Sie meinen. Ich kann diese Verklemmung bei uns Deutschen selbst nicht verstehen. Ich bin Jahrgang 1948 und habe mit dem braunen Terror von damals nichts zu tun, und deshalb frage ich mich: Warum können wir Deutsche eigentlich nicht – so wie das doch 2006 zur WM sehr schön gelungen ist – unverkrampft zu uns selbst stehen? Warum dürfen nicht auch wir mal unseren Nationalstolz zeigen? Ich zum Beispiel bin stolz darauf, Deutscher zu sein, aber wenn ich das sage, lande ich ja schon wieder in der Ecke. In anderen Ländern, etwa in Frankreich, ist man wie selbstverständlich von rechts bis links stolz darauf, Franzose zu sein. Das ist doch schön.
Woher kommt dieses Problem?
Deuse: Das ist eine schwierige Frage. Sicher aber sind die echten Rechtsextremisten dafür verantwortlich, daß wir immer wieder in diesen Ruch kommen: Denken Sie nur an den jüngsten Übergriff auf zwei Afrikaner im rheinland-pfälzischen Guntersblum. Aber ebenso auch all diejenigen, die hier ständig neue angeblich rechtsextreme Zwischenfälle herbeiphantasieren und in alle Welt hinausposaunen.
Bei aller Übertreibung des „Kampfes gegen Rechts“ ist rechtsextreme Gewalt – ebenso, wie die von links – durchaus ein existierendes Problem. Woher kommt es?
Deuse: Dazu möchte ich mich nicht äußern, sonst werden wieder alle Kübel über mir ausgekippt.
Hätten Sie bei der Wende 1989 geglaubt, daß wieder eine Zeit kommt, in der Sie Ihre Meinung nicht offen sagen können?
Deuse: Nein, aber das ist eben die tiefe Kluft, die bei uns zwischen Medien und Volk entstanden ist.
Sie meinen wie vor 1989 zwischen Volk und Partei
Deuse: Das haben Sie gesagt.
Gotthard Deuse: steht seit den Vorfällen in Mügeln wegen seiner öffentlichen Äußerungen im Kreuzfeuer der Kritik. Seit 1990 ist er der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt im Landkreis Torgau-Oschatz. Das FDP-Mitglied trat 1972 der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) bei, einer der DDR-Blockparteien, die 1990 mit der FDP fusionierte. Geboren wurde der Diplomingenieur für Dieselmotoren 1948 in Mügeln.
Stadt Mügeln: Die Gemeinde liegt nahe der Autobahn A 14 auf halbem Wege von Leipzig nach Dresden am Fluß Döllnitz. 984 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt, hat die Stadt heute knapp 5.000 Einwohner. Bekannt ist sie für ihre historische Schmalspurbahn „Wilder Robert“.
Kontakt und
Information:
Stadtverwaltung, Markt 1, 04769 Mügeln, Tel: 03 43 62 / 41 00, Internet:
www.stadt-muegeln.de
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