Freitag, 31. August 2007

Was der Bürgermeister von Mügeln tatsächlich gesagt hat

„Ein neues Sebnitz“

Nach der Gewalt in Mügeln steht der Ort am Pranger. Bürgermeister Gotthard Deuse kämpft für seine Stadt
Moritz Schwarz

Herr Deuse, von einer „Hetzjagd auf acht Inder in Mügeln, die schließlich verprügelt wurden“ sprechen seit Tagen die meisten Medien und Politiker. Sie aber sagen: „So war das gar nicht.“

Deuse: Tatsächlich stand die Prügelei, bei der die Inder – und vier Deutsche – verletzt wurden, nicht am Ende, sondern am Anfang der Geschehnisse. Daraus erst ergab sich dann offenbar die Flucht in die Pizzeria Picobello. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich verurteile jede Form der Gewalt auf das schärfste! Aber es ist schon ein Unterschied, ob die Inder unschuldig und aus fremdenfeindlichen Motiven überfallen, gejagt und dann verprügelt wurden, wie das jetzt von den meisten Medien dargestellt wird. Oder ob sich in einem Festzelt eine an sich unpolitische Prügelei entsponnen hat – an deren Entstehen die Inder überdies möglicherweise einen Anteil hatten. Und die dann in einer Flucht mündete, in deren Verlauf aus Wut dumme und unsägliche Parolen gerufen wurden – wobei noch nicht einmal geklärt ist, ob das wirklich die Tatbeteiligten waren oder irgendwelche trittbrettfahrenden Zaungäste. Ich sage nicht, daß es so war, ich sage nur, keiner weiß, ob es vielleicht nicht so war, und deshalb hat auch keiner das Recht, in dem Fall vorschnell politisch zu urteilen.

Was vermuten Sie? Wie hat es sich zugetragen?

Deuse: Das versucht die Polizei jetzt herauszufinden. Ich kann und will den Ermittlungsergebnissen nicht vorgreifen.

Es ist allerdings auf jeden Fall äußerst bedenklich, wenn eine Gruppe in gewalttätiger Absicht einer kleineren Gruppe nachsetzt und dabei aggressive politische Parolen gerufen werden.

Deuse: Kein Zweifel, und deshalb haben wir auch jede Art von Gewalt entschieden verurteilt!

Die Grünen im Land haben Sie für Ihre Aussagen scharf angegriffen und mitgeteilt, es sei für die Wertung des Vorfalls als „rassistisch“ nicht von Belang, wer die Prügelei begonnen habe.

Deuse: So eine rechtsstaatlich mangelhafte Unreflektiertheit ist doch ein Skandal! Aufgrund einer solchen Haltung wird Mügeln nun zu Unrecht – nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt – als rechtsextremes Städtchen dargestellt.

Und das ist es nicht?

Deuse: Ganz klar: Nein!

Wieso spricht dann der ehemalige Regierungssprecher und Vorsitzende des Vereins „Gesicht zeigen!“, Uwe-Karsten Heye, mit Blick auf Mügeln von Meidezonen für Ausländer, sogenannten „no-go areas“, in den neuen Bundesländern?

Deuse: Ich weiß nicht, ob es solche Zonen überhaupt gibt, mir zumindest sind keine bekannt. Und Mügeln ist ganz bestimmt keine. Der indische Pizzeriabesitzer ist seit Jahren ein integrierter Bürger unseres Städtchens. Die übrigen betroffenen Inder kommen zwar nicht direkt aus Mügeln, sind aber schon seit zwölf Jahren zweimal wöchentlich auf unserem Wochenmarkt. Und seit zwölf Jahren feiern wir schon unser Altstadtfest – es gab da noch nie Reibereien. Außerdem: Am Tag nach dem Vorfall ging das Fest weiter, mit dabei waren acht Vietnamesen und es gab nicht den geringsten Ärger! Wer behauptet, in Mügeln seien Ausländer potentiell ihres Lebens nicht sicher, war noch nie hier oder ist entschieden böswillig. Natürlich gibt es in Mügeln auch Leute mit rechter Gesinnung, aber die gibt es überall, und von einer rechten Szene kann man nicht sprechen. Das bestätigt auch die Polizei. Zwar gab es in unserem Landkreis in der Vergangenheit auch rechtsextreme Straftaten, aber noch nie in Mügeln.

Sachsens grüne Fraktionschefin Antje Hermenau meint, mit Ihren Äußerungen machten Sie den „Rassismus salonfähig“.

Deuse: Das ist wieder so eine giftige Parole, die nur beweist, daß Frau Hermenau von Dingen redet, über die sie nicht informiert ist. Ich lade sie herzlich ein, sich Mügeln mal anzuschauen, damit sie auch weiß, wovon sie spricht.

Laut „Financial Times Deutschland“ haben Sie die erschollenen „Ausländer raus!“-Rufe mit den Worten kommentiert: „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen.“

Deuse: Und ich habe ausdrücklich angefügt, daß ich das nicht gutheiße! Der FTD-Journalist, dem ich das gesagt habe, mußte auf Nachforschung der Bundesgeschäftsstelle meiner Partei zugeben, daß er diesen Nachsatz unterschlagen hat!

Haben Sie eine Gegendarstellung verlangt?

Deuse: Wir sind noch dabei, das zu prüfen.

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo wiederum wirft Ihnen vor, daß Sie Rechtsextremismus als Ursache für den Vorfall ausgeschlossen haben.

Deuse: Ja, ich sage klipp und klar: Rechtsextremismus schließe ich aus. Denn es besteht ein Unterschied zwischen ausländerfeindlichen Parolen von Betroffenen und Rechtsextremismus.

Inwiefern?

Deuse: Rechtsextremismus ist eine politische Haltung, die von einschlägigen Aktivisten getragen wird und auf den Sturz unserer Verfassung zielt. Aber auch wenn der Innenminister mich kritisiert, so sind wir doch dankbar für das Zeichen, daß unser Landesvater Georg Milbradt mit seinem Besuch bei uns gesetzt hat.

Hat er durch seinen demonstrativen Auftritt unmittelbar nach den Vorfällen nicht mit dazu beigetragen, die Stadt an den Pranger zu stellen?

Deuse: Der Ministerpräsident hat nach seinem Besuch deutlich gesagt, daß er zwar einen rechtsextremen Zusammenhang nicht ausschließen kann, aber daß es eben auch ganz anders gewesen sein könnte.

Seine Visite wurde aber keineswegs damit begründet, den Mügelnern beizustehen, sondern um ein Zeichen zu setzen gegen die „Jagd auf Menschen“, wie es in den Medien hieß.

Deuse: Das hätte er auch per Presseerklärung tun können. Nein, Georg Milbradt hat damit vielmehr gezeigt, daß er sich als Ministerpräsident aller Sachsen versteht.

Auch Angela Merkel hat sich eingeschaltet.

Deuse: Es ist natürlich klar, daß die Bundeskanzlerin nicht extra nach Mügeln reisen kann.

Auch ihre Äußerung enthielt keine Beistandsadresse für die Mügelner, sondern eine Verurteilung der skandalisierten Geschehnisse.

Deuse: Das mag sein, sie steht eben auch unter Druck.

Inwiefern?

Deuse: Kein Kommentar.

Sind Sie enttäuscht von ihr?

Deuse: Von wem ich enttäuscht bin, ist Minister Wolfgang Tiefensee. Statt seiner populistischen Aussagen hätte ich von ihm, der schließlich auch Sachse ist und Oberbürgermeister von Leipzig war, erwartet, daß er sich zwei Minuten Zeit nimmt und fragt: „Nu‘ erzähl doch mal, wie war das denn, nach allem, was du weißt?“ Aber: Nichts.

Warum interessiert ihn das Ihrer Meinung nach nicht? Warum wird Mügeln nach Ihrer Ansicht von den Medien so falsch dargestellt?

Deuse: Meine Vermutung ist, das Sommerloch ist jedes Jahr ein großes Problem, und da stürzt man sich dankbar auf alles, was sich bietet.

Seit Tagen sind Sie mit nichts anderem beschäftigt, als Journalisten diese Gesichtspunkte darzulegen. Warum ändert sich dennoch nichts an der Darstellung des Falles in den meisten Medien?

Deuse: Ich habe den Eindruck, viele Journalisten wollen das gar nicht hören. Nachdem sie die Geschichte von der rechtsextremen Hetzjagd so schnell rausposaunten, haben sie jetzt natürlich das Problem, daß sie als die Blamierten dastünden, wenn sie jetzt alles zurücknehmen müßten.

Das heißt, Sie sehen Mügeln als eine Art neues Sebnitz?

Deuse: Was Sebnitz ausmachte, war die Vorverurteilung einer Stadt durch Medien und Politik: Urteilen, ohne die Fakten zu kennen! Diese Definition paßt auch auf Mügeln, insofern sehe ich Mügeln in der Tat als neues Sebnitz. Es enttäuscht mich, daß die Medien aus Sebnitz und auch aus dem Fall Potsdam vom April 2006 offenbar nichts gelernt haben. Damit schaden unsere Medien Deutschland erheblich: Denn entgegen der Wahrheit klagen wir uns selbst vor aller Welt als Hort des Rechtsextremismus an. Und im übrigen fürchte ich, daß all dies dazu beiträgt, daß der Fall vielleicht niemals vollständig aufgeklärt wird.

Warum?

Deuse: Weil manche Zeugen aus Angst, beschimpft zu werden, sich gar nicht mehr äußern könnten. Leider ist die Schwelle des Anstands in Deutschland extrem gesunken. Es geht inzwischen oft nicht mehr darum, was passiert ist, sondern nur noch darum, zu verurteilen.

Gerade die „Kampf gegen Rechts“-Atmosphäre könnte also die Aufklärung verhindern?

Deuse: Wenn sich die Bürger nur darauf verlassen könnten, daß ihnen unvoreingenommen begegnet wird! Aber man muß ja jederzeit damit rechnen, daß alles, was man sagt, von gewissen Leuten nur dazu benutzt wird, um deren Vorurteile zu bestätigen.

Fühlen sich die Mügelner persönlich verletzt?

Deuse: Ich denke schon. Wir haben etwa jede Menge Haßpost bekommen, allein 194 E-Mails. Darin werde ich zum Beispiel als Nazi-Schwein beschimpft. Wirklich reichlich unter der Gürtellinie!

Von wem kommen diese Zuschriften?

Deuse: Leider sind vor allem Absender aus den alten Bundesländern darunter. Aber ich bin mir sicher, nicht alle Westdeutschen denken so. Ich habe auch einen Anruf eines älteren Mannes irgendwo aus Bayern bekommen, der mir Mut gemacht hat. Was mich übrigens besonders erschüttert hat, waren die wütenden Zuschriften, die wir bekommen haben, nachdem ich es gewagt hatte, öffentlich darauf hinzuweisen, daß es außer den acht verletzten Indern auch vier verletzte Deutsche gibt. Tenor: „Was gehen uns angesichts der indischen die deutschen Opfer an?“

Sie sehen eine Diskriminierung der deutschen Opfer?

Deuse: Nein, jedes Opfer, gleich welcher Nationalität, ist ein Opfer zuviel.

Sie haben einen der verletzten Inder im Krankenhaus besucht.

Deuse: Und ihm einen Blumenstrauß gebracht.

Haben Sie auch die deutschen Opfer besucht?

Deuse: Die waren da schon wieder entlassen. Sonst hätte ich das selbstverständlich auch getan. Aber ich verstehe, was Sie meinen. Ich kann diese Verklemmung bei uns Deutschen selbst nicht verstehen. Ich bin Jahrgang 1948 und habe mit dem braunen Terror von damals nichts zu tun, und deshalb frage ich mich: Warum können wir Deutsche eigentlich nicht – so wie das doch 2006 zur WM sehr schön gelungen ist – unverkrampft zu uns selbst stehen? Warum dürfen nicht auch wir mal unseren Nationalstolz zeigen? Ich zum Beispiel bin stolz darauf, Deutscher zu sein, aber wenn ich das sage, lande ich ja schon wieder in der Ecke. In anderen Ländern, etwa in Frankreich, ist man wie selbstverständlich von rechts bis links stolz darauf, Franzose zu sein. Das ist doch schön.

Woher kommt dieses Problem?

Deuse: Das ist eine schwierige Frage. Sicher aber sind die echten Rechtsextremisten dafür verantwortlich, daß wir immer wieder in diesen Ruch kommen: Denken Sie nur an den jüngsten Übergriff auf zwei Afrikaner im rheinland-pfälzischen Guntersblum. Aber ebenso auch all diejenigen, die hier ständig neue angeblich rechtsextreme Zwischenfälle herbeiphantasieren und in alle Welt hinausposaunen.

Bei aller Übertreibung des „Kampfes gegen Rechts“ ist rechtsextreme Gewalt – ebenso, wie die von links – durchaus ein existierendes Problem. Woher kommt es?

Deuse: Dazu möchte ich mich nicht äußern, sonst werden wieder alle Kübel über mir ausgekippt.

Hätten Sie bei der Wende 1989 geglaubt, daß wieder eine Zeit kommt, in der Sie Ihre Meinung nicht offen sagen können?

Deuse: Nein, aber das ist eben die tiefe Kluft, die bei uns zwischen Medien und Volk entstanden ist.

Sie meinen wie vor 1989 zwischen Volk und Partei

Deuse: Das haben Sie gesagt.

Gotthard Deuse: steht seit den Vorfällen in Mügeln wegen seiner öffentlichen Äußerungen im Kreuzfeuer der Kritik. Seit 1990 ist er der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt im Landkreis Torgau-Oschatz. Das FDP-Mitglied trat 1972 der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) bei, einer der DDR-Blockparteien, die 1990 mit der FDP fusionierte. Geboren wurde der Diplomingenieur für Dieselmotoren 1948 in Mügeln.

Stadt Mügeln: Die Gemeinde liegt nahe der Autobahn A 14 auf halbem Wege von Leipzig nach Dresden am Fluß Döllnitz. 984 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt, hat die Stadt heute knapp 5.000 Einwohner. Bekannt ist sie für ihre historische Schmalspurbahn „Wilder Robert“.

Kontakt und Information: Stadtverwaltung, Markt 1, 04769 Mügeln, Tel: 03 43 62 / 41 00, Internet: www.stadt-muegeln.de
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. 36/07 31. August 2007



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Donnerstag, 30. August 2007

Beweisfälschungen gegen Libyen im Fall Lockerbie

Lockerbie-Attentat

Explosiver Widerruf

Von Johannes Leithäuser, London



259 Menschen starben bei dem Attentat - gegen Libyen wurde ermittelt
30. August 2007
Vier Seiten ist die persönliche Erklärung eines Schweizer Ingenieurs lang. Sie könnte 19 Jahre Ermittlungen und Prozesse zum Bombenanschlag auf den PanAm-Flug 103 über dem schottischen Lockerbie zunichtemachen. Libyen wäre dann nicht mehr für den schwersten ihm zugerechneten Terroranschlag verantwortlich.

Der Sprengsatz explodierte am 21. Dezember 1988 im vorderen Rumpf einer Boing 747 der amerikanischen Fluggesellschaft in 9000 Meter Höhe; alle 259 Menschen an Bord und elf Einwohner der Ortschaft Lockerbie starben – durch die Explosion, den Aufprall am Boden, Verpuffungen und Brände.

Beweisfälschung?

Die Einzelteile des Flugzeugs waren auf einer riesigen Fläche verteilt

Mehr als zwölf Jahre später, am 31. Januar 2001, wurde der libysche Geheimdienstoffizier Megrahi von einem in den Niederlanden tagenden schottischen Gericht schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Berufung scheiterte zunächst. Ende Juni 2007 entschied jedoch eine schottische Revisionskommission, das erste Gericht habe ein „Fehlurteil“ gefällt, ein neues Berufungsverfahren sei zulässig.

Am 18. Juli gab der Schweizer Ingenieur Ulrich Lumpert eine Erklärung ab, in der er frühere Angaben in den Lockerbie-Ermittlungen widerruft und feststellt, einzelne Beweisstücke seien „vorsätzlich politisch“ manipuliert worden.

Er wolle nun mit seiner Erklärung „den Anschuldigungen Libyens, für die Lockerbie-Tragödie verantwortlich zu sein, ein Ende setzen“. Der Prozessbeobachter der Vereinten Nationen, der österreichische Philosoph Hans Köchler, verlangt unter Hinweis auf die Aussagen Lumperts, jetzt müsse die schottische Justiz von Amts wegen mögliche Beweisfälschungen untersuchen.

10.000 Einzelteile wurden untersucht

Die Explosion in großer Höhe hatte die Bestandteile des Flugzeuges und seines Inhaltes auf einer Fläche von rund 2000 Quadratkilometern zerstreut, mehr als 10.000 Einzelteile wurden gefunden und gesichtet. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA und der britische MI5 trugen zu den Ermittlungen bei.

Unter den terroristischen Gruppen, die sich des Anschlages bezichtigten, wurde in einer ersten vorläufigen Einschätzung amerikanischer Sicherheitskreise den „Wächtern der Islamischen Revolution“ die höchste Glaubwürdigkeit zuerkannt. Diese Gruppe hatte behauptet, der Anschlag sei die Vergeltung für den Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs durch die Amerikaner ein halbes Jahr zuvor.

Bombensprengstoff mit Kinderkleidung umwickelt

Später wurden auch Ähnlichkeiten der Lockerbie-Bombe mit der Bombenkonstruktion der „Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando“ festgestellt, die in Deutschland beschlagnahmt worden war. Vor allem aber rückte Libyen ins Visier der Ermittler, das in den achtziger Jahren mehrfach mit Amerika in Konflikt geraten war.

Im Jahr 1986, zweieinhalb Jahre vor dem Lockerbie-Attentat, war Libyen für den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ verantwortlich, die von vielen amerikanischen Soldaten besucht wurde. Amerikanische Flugzeuge bombardierten daraufhin Tripolis und Bengasi.

Die Ermittlungen in Lockerbie stützten sich Anfang der neunziger Jahre schließlich auf den maltesischen Ladenbesitzer Gauci, in dessen Geschäft der spätere Angeklagte Megrahi jene Kinderkleidung gekauft haben soll, mit der der Bombensprengstoff in einem Schalenkoffer umwickelt gewesen sei. Megrahi war zu jener Zeit auf Malta für die staatliche libysche Fluggesellschaft tätig.

Lybien lieferte die zwei Angeklagten aus

Ein zweites zentrales Beweisstück im Prozess gegen Megrahi stellten zwei Teilstücke einer Zeitzündvorrichtung dar, die nach Polizeiangaben unter den Trümmern gefunden wurden. Zündvorrichtungen dieses Typs waren von der Schweizer Firma Mebo an Libyen geliefert worden; zwei Prototypen gingen auch an eine wissenschaftliche Abteilung des DDR-Staatssicherheitsdienstes nach Ost-Berlin.

Libyen wurde daraufhin für den Lockerbie-Anschlag politisch in Haftung genommen und unter anderen von den UN mit Handelssanktionen bestraft. Erst ein Jahrzehnt nach dem Attentat, nachdem die libysche Führung einen Kurswechsel vollzogen hatte, setzte sie Ende der neunziger Jahre Kooperationszeichen.

Sie erkannte zwar nicht die Verantwortung für das Attentat an, aber für die Handlungen ihrer staatlichen Bediensteten. Libyen lieferte Megrahi und den zweiten Angeklagten Fhimah, der später freigesprochen wurde, an die schottische Justiz aus. Die Bedingung dafür war, dass der Prozess gegen die beiden auf neutralem Boden stattfinde.

Juristische Fehlgeburt

Der UN-Beobachter Köchler übte nach dem Verfahren in den Jahren 2001 und 2002 scharfe Kritik am Vorgehen der Justiz und nannte das Urteil eine juristische Fehlgeburt. Nach seiner Begutachtung gab es Mängel sowohl in der Verhandlungsführung als auch in der Beweiswürdigung.

Es sei vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen worden, dass dem zentralen Zeugen Gauci, der den Angeklagten als Einkäufer der Kinderkleidung wiedererkannte, kurz vor seiner Aussage ein Zeitungsfoto Megrahis gezeigt worden war. Die schottische Revisionskommission, die jetzt – nach mehr als vier Jahre währenden Überprüfungen – ein neues Berufungsverfahren zuließ, folgte dabei unter anderem Köchlers Argumentationen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen Gauci betreffend.

Beweisstück erst braun und dann verkohlt

Die brisantere Frage, ob die Fragmente des Bombenzünders manipuliert wurden, um ein Urteil gegen den libyschen Angeklagten sicherzustellen, ist von der Revisionskommission nicht detailliert untersucht worden. Schon vor der eidesstattlichen Versicherung des Schweizer Ingenieurs hatten sein früherer Arbeitgeber, der Chef der Herstellerfirma Mebo, Bollier, und ein bislang anonym gebliebener schottischer Polizeibeamter derartige Vermutungen geäußert.

Die Zeitschalter-Firma Mebo geriet durch die Anklage Libyens in den neunziger Jahren in dramatische wirtschaftliche Schwierigkeiten: Sie sah sich einer Schadensersatzklage von PanAm ausgesetzt und um ihren Leumund gebracht.

Bollier versuchte vergeblich, bei seiner Zeugenaussage im Prozess gegen Megrahi seine Auffassung vorzubringen, die als Beweisstücke eingeführten Schalterteile könnten nicht aus jenen Lieferungen stammen, die er einst nach Libyen geschickt hatte. Die dorthin gelieferten Schalttafeln seien grün gewesen, eines der ihm gezeigten Bruchstücke habe aber zunächst eine braune Farbe gehabt, bei einer späteren Vorlage sei es so verkohlt gewesen, dass man die Färbung nicht mehr habe erkennen können.

„Es konnte für mich lebensgefährlich werden“

Der einst bei Bollier angestellte Ingenieur Lumpert hatte hingegen bei seiner eigenen Aussage die Vorwürfe seines Chefs nicht unterstützt, sondern sinngemäß angegeben, die Firma habe solche Teile nach Libyen geliefert. Erst jetzt hat Lumpert diese Haltung in seiner Erklärung widerrufen und überdies sogar den Hinweis gegeben, jener Zündschalter, aus dem dann ein Beweisstück wurde, sei einer von drei von ihm selbst hergestellten Prototypen gewesen, die er „bei Mebo entwendet“ und in „unerlaubter Weise an eine offizielle Ermittlungsperson im ,Lockerbie-Fall‘ am 22. Juni 1989 übergeben“ habe.

Er habe zu jenem Zeitpunkt nicht gewusst, dass dieser Schalter als Beweismittel im Lockerbie-Fall eine zentrale Bedeutung erhalten werde. Als ihm das bei weiteren polizeilichen Vernehmungen 1991 klargeworden sei, habe er „unbeschreibliche“ Depressions- und Angstzustände bekommen.

Lumpert gibt an, als er gemerkt habe, „dass das Schaltbrett nach meiner unerlaubten Aushändigung für eine vorsätzliche politisch kriminelle Machenschaft missbraucht wurde, war für mich klar, dass ich ,mitten darin‘ steckte, und ich entschied mich, den Mund zu halten, denn es konnte ansonsten für mich, als ungewollten Geheimnisträger, lebensgefährlich werden“.

Beweismanipulation öffentlich eingestehen

Lumpert sagt zu den Gründen, warum er nun frühere Aussagen revidiere, der Zeitpunkt sei günstig, weil jetzt nach dem schottischen Revisionsspruch das Verfahren ohnehin wiederaufgenommen werde, überdies seien die Entwendung und die Weitergabe des Teils im Jahre 1989 und seine Falschaussage im Prozess 2001 strafrechtlich verjährt.

Lumperts früherer Arbeitgeber Bollier sagte, er habe erwogen, gegen Lumpert wegen dessen Aussage im Prozess Strafanzeige zu stellen, weil dadurch die Firma Mebo belastet worden sei, habe sich dann aber mit seinem früheren Angestellten darauf geeinigt, dass dieser seine Mitwirkung an einer Beweismanipulation öffentlich eingestehen solle.

Die schottische Justiz hat bislang die Wiederaufnahme des Lockerbie-Verfahrens nicht terminiert. Nach der Entscheidung der Revisionskommission hieß es, das könne frühestens im Jahr 2008 geschehen, also im zwanzigsten Jahr nach dem Attentat.



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Mohammed, karikiert

Schweden

Mohammed, karikiert

Von Siegfried Thielbeer, Kopenhagen

Die Zeitung "Nerikes Allehanda" druckte die Bilder
30. August 2007 Auch Schweden droht nun eine Karikaturenkrise ähnlich der, die Anfang 2006 Dänemark wegen der Mohammed-Karikaturen traf. Auch der Anlass ist ähnlich: Mehrere schwedische Museen hatten sich aufgrund von „Sicherheitsrisiken“ geweigert, Zeichnungen des Künstlers Lars Vilk auszustellen, darunter Karikaturen, die Mohammed als Hund zeigen. Die Sicherheit des Personals und der Besucher, hieß es, könne ansonsten nicht mehr garantiert werden.

Über diese vorauseilende Selbstzensur empörten sich liberale Zeitungen und druckten die Zeichnungen, darunter Schwedens auflagenstärkstes Qualitätsblatt „Dagens Nyheter“ sowie die Boulevardzeitungen „Expressen“ und „Aftonbladet“. Zudem veröffentlichte die in Örebro erscheinende „Nerikes Allehanda“ am 19. August eine Zeichnung von Vilk, die Mohammed als Hundedenkmal in der Mitte eines Kreisverkehrs zeigt. Das Blatt illustrierte damit seinen Leitartikel zur Meinungsfreiheit.

Erregte Debatte

In Schweden brach, nicht nur unter Kunstkritikern, eine erregte Debatte los. Waren die Zeichnungen etwa ästhetisch schwach und auch deshalb eine ganz unnötige Provokation der Muslime? Sollte man alles tun, was man tun dürfe? Zielte der Provokateur Vilk vielleicht auf die Verlogenheit der Kunst- und Kulturszene und hatte gar nicht die Absicht, Mohammed zu treffen? Vilk seinerseits provozierte weiter, legte neue Zeichnungen vor, in denen er antisemitische Klischees bediente und auch nicht davor zurückscheute, Jesus zu karikieren.

Im schwedischen Reichstag stellte die liberale Volkspartei eine Anfrage an die Regierung, wie sie im Zusammenhang mit der Hundezeichnung zur Kunstfreiheit stehe - und wie sie die Sicherheit von Institutionen garantieren wolle, die kontroverse Kunst ausstellten. Die Reichstagsabgeordnete Cecilia Wikström, zugleich stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses, argumentierte, seit der Publikation der Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ seien Selbstzensur und Rücksichtnahme übertrieben worden, zugleich erinnerte sie an die Absage der Idomeneo-Aufführung in Berlin. Vilk selbst meinte, die Argumente der Museen seien maßlos übertrieben, wenn nicht gar frei erfunden.

Iran protestiert

Ähnlich wie in Dänemark haben sich nun mit einiger Verspätung muslimische Organisationen zu Wort gemeldet. Hatte anfangs noch eine ihrer schwedischen Gruppen großzügig angeboten, selbst die Zeichnungen Vilks auszustellen, so gehen jetzt muslimische Demonstranten auf die Straße und protestieren, zumal in Örebro, gegen die Verhöhnung Mohammeds. Weitere Demonstrationen wurden für den kommenden Freitag angekündigt. Am vergangenen Montag nahm sich Iran offiziell des Themas an und protestierte bei der schwedischen Regierung. Das schwedische Außenministerium bestätigte am Dienstag, dass eine Botschaftsvertreterin in das Teheraner Außenministerium einbestellt worden sei, um den Protest entgegenzunehmen. Die Reaktion des schwedischen Außenministeriums war kühl. In Schweden herrsche Pressefreiheit, also wolle sich die Regierung in den Fall nicht einmischen. Von Übergriffen auf diplomatische Einrichtungen Schwedens in Iran sei nichts bekannt.

Irans Präsident Mahmud Ahmadineschad erklärte am Dienstag, die Karikatur könne die bilateralen Beziehungen nicht beeinträchtigen. Er sprach vom „dummen Fehler einer unbedeutenden Zeitung“. Die Angelegenheit solle nicht überbewertet werden. Der Präsident sah hinter der Publikation eine Verschwörung der Zionisten, die verhindern wollten, dass es zwischen Iran und Schweden gute Beziehungen gebe.

Ulf Johansson, der Chefredakteur von „Nerikes Allehanda“, bedauerte die Publikation nicht. Die meisten Leser, erklärte er, hätten Unterstützung bekundet, auch wenn es einige gebe, die ihn persönlich zur Hölle wünschten. Etwas verblüfft sei er darüber, dass just seine Zeitung in den Mittelpunkt der Debatte gerückt sei, obwohl auch größere Blätter die Karikaturen gedruckt hätten. Aber das liege wohl daran, dass die Proteste in Örebro stattgefunden hätten.

Text: F.A.Z., 30.08.2007, Nr. 201 / Seite 38